Column

Madhavi & das Leben: Chippendales & Handstand in Zeitlupe

18. September 2015
Madhavi & das Leben

Während ich diesen Artikel schreibe, sitze ich auf gepackten Kisten und warte darauf, nach Tempelhof zu ziehen. Ein Jahr Berlin – und ich bin schon wieder im Umzugswahn. Aber dazu mehr im nächsten Post. Heute möchte ich über etwas ganz anderes schreiben.

Ich war vor ein paar Tagen in einer Yogaklasse und hätte den Herrn neben mir am liebsten aus seinem verdrehten Handstand geschubst, oder meine Yogamatte eingerollt, um den Raum schnurstracks zu verlassen. Aber ich konnte mich beherrschen, war dennoch beleidigt.

Was war passiert? Ich war  furchtbar zornig, weil mein Mattennachbar eine Zirkusveranstaltung abhielt, wie ich sie noch nie vorher erlebt hatte, minütlich einen Flikflak bis hin auf meine Yogamatte veranstaltete, und ich all meine klägliche Energie aufwenden musste, um bei mir zu bleiben.

Das kann ich eigentlich ganz gut, dachte ich, soll doch um mich herum jeder machen, was er will. Doch das, das war einfach zu viel.

Von vorn. Der lustige Vogel war selbst Yogalehrer, was ich am Rande vor der Yogastunde mitbekam. Er betrat den Raum, ein athletischer, exakter Gang, ein Surferboy mit gegelten Haaren, weißen Zähnen,  von allem reichlich. Er rollte seine grüne Liform Yogamatte neben mir aus und versuchte schon vor der Stunde, alle Blicke auf sich zu ziehen. Ich fand das erst ganz putzig, das machen kleine Männer ja gern, vor allem, wenn sie eine Yogamatte unter dem Arm tragen.

Das Thema der Yogastunde war Achtsamkeit. Das schien ihn, nennen wir ihn mal Bryan, wenig zu interessieren, was vielleicht auch daran lag, dass er kein Deutsch verstand, er war nämlich aus L.A. Das erzählte er der  Frau rechts von sich vor der Yogastunde. Sprachprobleme während einer Yogastunde sind eigentlich kein Problem, dann macht man halt das nach, was die anderen da vorn turnen.

Bryan jedoch hüpfte bei jeder Ansage erst einmal in Zeitlupe in den Handstand. Ausfallschritt, Handstand, Bein nach vorn, Handstand, Chaturanga, Handstand. Ab und zu warf er auch einen Handstand Überschlag in die Runde,  und ich war so auf 180, denn ich wollte einfach in Ruhe Yoga üben. Dann versuchte ich ihn als Yogaübung zu sehen, atmete tiefer, doch ich versagte kläglich. Bei jeder Übung achtete er exakt darauf, ob jemand ihn beobachte, wenn ja, gab er noch mehr Gas.

Ich verstand die Welt nicht mehr. Wie kann man sich denn, vor allem als Yogalehrer, so in einer Yogaklasse benehmen? Ich bin ja für Freiheit und das jeder sich ausdrücken darf, aber so? Die Yogalehrerin, die damit ganz lässig umging, tat mir ein wenig leid. Ich war nicht die einzige Person, die von seinem Spektakel gestört wurde.

Der Knaller: Er ging danach zu der hübschen Yogalehrerin und sagte, er hätte halt nichts verstanden, weil sie ja kein Sanskrit während ihrer Ansagen benutzt hätte. Ich habe gut gelacht.

Mir gehen diese Show-Yogis momentan dermaßen auf die Nerven, wo kommen die denn auf einmal alle her? Diese Typen, eine Art Chippendales auf der Yogamatte, die gerade auf jeder Veranstaltung die Vorturner machen, oder dieser lästige Kerl neben mir, der offensichtlich ein berühmter Youtube-Star sein soll. Bin ich zu alt für so was? Zu verklemmt?

Ich finde die Entwicklung gerade ein wenig erschreckend, das ist doch komplette Ego-Scheiße, die eher abtörnt, als zum Yoga motiviert.

Also, liebe Männer, bitte nicht nachmachen!

Madhavi Guemoes
Madhavi Guemoes dachte mit 15, dass sie das Leben vollständig verstanden habe, um 31 Jahre später zu erkennen, dass dies schier unmöglich ist. Sie arbeitet als freie Autorin, Aromatherapeutin, Podcasterin, Bloggerin und Kundalini Yogalehrerin weltweit und ist Mutter von zwei Kindern. Madhavi praktiziert seit mehr als 30 Jahren Yoga - was aber in Wirklichkeit nichts zu bedeuten hat.
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  • Ninette
    11. September 2015 at 10:37

    Liebe Madhavi, wahrscheinlich kennen wir das alle, dieses Gefühl, dass uns jemand auf die Palme bringt, wir uns als erfahrene Yogis darüber ärgern dass uns jemand auf die Palme bringt..und das bringt uns noch mehr auf die Palme. Den Show-off Yogis entkommt man aber ganz gut, zumindest meiner Erfahrung nach, wenn man nicht die Show-off Studios besucht, um Yoga zu üben. Weil, irgendwie ziehen die entsprechenden Orte/Lehrer auch die entsprechenden Yogis an, oder ist selbst darauf schon nicht mehr Verlass…? Die schöne Erkenntnis daran könnte ja sein: Wir sind eben soziale Wesen und als Yogi, der nicht alleine im Himalaya meditiert, geht es eben nie nur um uns selbst, sondern um uns in Bezug auf unsere Umwelt…Wäre also irgendwie auch traurig, wenn sowas uns nicht mehr auf die Palme brächte, denn schließlich ist es ja schließlich auch unser Bezug zu den Dingen und Menschen, die uns empfindsam, achtsam, liebevoll, stark und auch durchlässig machen….irgendwie so.

  • Madhavi Guemoes
    11. September 2015 at 10:40

    Da hast Du natürlich recht, in diesem Fall hatte er sich, glaube ich, nur verlaufen. Das Thema der Klasse war Achtsamkeit und der Rest der Yogis auch voll eingetuned.

  • Maike
    11. September 2015 at 10:42

    Hallo Madhavi,
    ich kann mir denken, dass du ziemlich genervt warst. Gerade von einem Yoga-Lehrer hätte ich auch anderes erwartet, sollte er doch eigentlich so tief in der Yoga-Philosophie drin sein, dass ihm die Bewunderung von anderen egal ist.
    Schade, dass Yoga im Moment ein weiterer Trend à la „guckt mich an, ich bin so toll“ wird. Das hat Yoga wirklich nicht verdient.

    Trotzdem: Ich konnte mir mal wieder ein Lachen nicht verkneifen. Du schreibst herrlich offen und amüsant.

    Viele Grüße
    Maike

  • Madhavi Guemoes
    11. September 2015 at 10:44

    Danke, Maike! Ja, auch wenn er von Philosophie keinen blassen Schimmer hätte, könnte er sich wenigstens einen Hauch, wirklich nur einen Hauch zurücknehmen. Dafür muss man nicht mal Yogalehrer sein…..

  • Ninette
    11. September 2015 at 10:45

    Vielleicht wird’s Zeit für einen zweisprachigen kaerlighed-Yogaguide um das Verlaufen zu minimieren….

  • Andrea
    11. September 2015 at 11:23

    Ich finde ja, dass die Yogalehrerin hätte ihn zur Raison bringen können, sollen, müssen. Denn so ein Verhalten stört eine Yogaklasse (also irritiert sowohl Lehrer und Übende) sehr. Da wünsche ich mir manchmal schon ein offenes Wort von den Lehrenden. Man kann das ja auch witzig verpacken und muss den Egoshooter ja nicht gleich die Trinkflasche auf die Ömme hauen.
    Merci für immer wieder schonungslose, enttarnende und offene Worte in einer oft zu weichgespülten Szene ;).

  • Stefan
    11. September 2015 at 13:21

    Ach du arme :/
    Yogalehrer ist nun mal nicht gleich Yogalehrer. Da sieht man es mal wieder. Schade, vorallem für Yoga. Aber du hast das beste draus gemacht!
    Und die Entwicklung sehe ich ähnlich erschreckend wie du. Allein diese ganzen „how to do a handstand“ workshops…..ey ey :/

  • Madhavi Guemoes
    11. September 2015 at 13:27

    Es war eine riesige Klasse auf einer Veranstaltung, von daher konnte sie gar nichts dazu sagen. Danke für Dein Feedback <3

  • Linda
    11. September 2015 at 15:02

    Liebe Madhavi, ich musste, trotzdem ich deine beschriebene Situation ähnlich unmöglich fand wie du, herzlich lachen. Du hast es sehr schön bildlich geschrieben, fast als wäre man selbst dabei gewesen. Ich hätte mich wahrscheinlich genauso aufgeregt, gerade wenn jemand direkt neben einem so ein Tänzchen veranstaltet, kann ich mich auch nur schwer konzentrieren. Seltsam, dass so viele der Meinung sind, der Yoga-Hype ist langsam ein bisschen nervig/anstrengend/einfach blöd. Mir geht es nämlich ebenso. Habe deshalb beschlossen, erst einmal zuhause am Morgen vor meinem Dachfenster zu üben, zwar mit Anleitung aus dem Internet, aber eben dennoch allein und in Ruhe. Da kaspert zumindest keiner neben mir rum.

  • elbyogis
    11. September 2015 at 16:59

    Herrlich – ich weiß, in dem Moment selbst nicht. Aber ich stell‘ mir das dann immer gleich bildhaft vor und hab dann voll den Yoga-Comic im Kopf. Danke für’s teilen solch kurioser Verhaltensauffälligkeiten von Kollegen.

    Grüßchen, Nicole

  • Madhavi Guemoes
    11. September 2015 at 20:12

    Haha, mittlerweile gehen die Leute lieber joggen, weil sie die Yogis nicht ertragen!

  • dana
    11. September 2015 at 21:11

    lustig, ich war in seiner klasse und wollte ihn danach etwas fragen, wurde aber prompt ignoriert als jmd wichtigeres um die ecke kam.
    kann deine wut gut verstehen. nicht abheben ist schon schwer wenn man sich im einarmigen handstand beherrschen muss nich noch die 2. Hand zu lösen. ich denke er hat da seine ganz eigenen kämpfe und behaupte einfach mal dass er warscheinlich so gut wie nie als schüler in eine klasse geht. to stay humble und so. <3

  • Madhavi Guemoes
    12. September 2015 at 8:26

    Ich war wirklich fassungslos, vor allem, als er der Lehrerin danach noch verklickerte, dass sie doch ihre Ansagen in Sanskrit hätte machen müssen. Er ist sicher ein netter Kerl, doch auf der Matte nicht so mein Ding.